Der SCB hat nicht ein Trainerproblem – er hat ein Lüthi-Problem
Überraschende Resultate gehören zur Attraktivität und zum Alltag der National League. Der HCD hat beispielsweise vor einem Jahr 0:7 in Langnau verloren, ist unter Trainer Josh Holden seither immer besser geworden und führt aktuell die Tabelle an. Die ZSC Lions haben im letzten November in Ajoie 1:2 verloren und dann doch die Champions League und die Meisterschaft gewonnen. So gesehen: 0:4 gegen Ajoie – na und?
Doch diese Niederlage ist für den SCB nicht in erster Linie peinlich. Sie ist entlarvend. Sie ist kein einmaliger Ausrutscher. Sie reiht sich ein in eine Serie von zu vielen enttäuschenden Darbietungen und zeigt, dass es eine beunruhigende Entwicklung hin zu einer Wohlfühloase gibt.
Das SCB-Erfolgsrezept war stets eine etwas rustikale, hemdsärmlige Leistungskultur. Vorgelebt, gehegt, gepflegt und durchgesetzt von SCB-General Marc Lüthi. Wenn er spürte, dass diese Kultur nicht mehr stimmte, dann griff er ein. Zweimal stieg er beispielsweise unmittelbar nach dem Spiel aus der VIP-Loge direkt in die Katakomben des Stadions hinab und feuerte den Trainer. Dieses Schicksal ereilte die Meistertrainer Larry Huras und Antti Törmänen. Und unvergessen bleibt das Kabinendonnerwetter nach einer schmählichen Niederlage in Biel im Januar 2016. Am Ende der Saison ist der Titel gefeiert worden.
Zwischendurch mischte sich Marc Lüthi auch sonst ins Tagesgeschäft ein und verordnete schon mal wegen einer Auswärtsniederlage in Rapperswil-Jona ein mitternächtliches Straftraining. Marc Lüthi signalisierte mit solchen Aktionen bis in den hintersten Winkel des SCB-Fuchsbaues: Wir verlangen Leistung! Sein Einfluss auf die SCB-Leistungskultur und die Erfolge der Neuzeit können gar nicht hoch genug bewertet werden.
Das ist alles lang her. Wie zu einer anderen Zeit. Als der SCB ein arroganter Titan, das Bayern München des Hockeys war und unter der kompromisslosen Führung von Marc Lüthi regelmässig Titel feierte (2004, 2010, 2013, 2016, 2017, 2019) und Misserfolg nicht geduldet wurde. Ruhig war es nie beim SCB. Die interne Unruhe sorgte für die unerlässliche Dynamik in der grössten Hockey-Firma des Landes mit einem Jahresumsatz von gut 60 Millionen und dem mit Abstand grössten Publikumsaufmarsch.
Inzwischen ist Marc Lüthi 64 und altersmilde geworden. Diese Altersmilde zeigt sich im milden SCB-Leistungsklima. Der hemdsärmlige, rustikale Führungsstil wird als nicht mehr zeitgemäss erachtet und ist durch moderne Strukturen abgelöst worden, die es jedem erlauben, die Verantwortung abzuschieben und weiterzureichen. Die Nordamerikaner haben dafür einen boshaften, aber treffenden Ausdruck: Cover your Ass.
Marc Lüthi delegiert entsprechende Fragen etwa um den Trainer an die Sportabteilung mit Obersportchef Martin Plüss. Der wiederum sieht richtigerweise auch Untersportchef Diego Piceci in der Mitverantwortung und umgekehrt verweist Diego Piceci durchaus zurecht bei heiklen Sachgeschäften an Martin Plüss. Wenn es um die Trainerfrage geht, ist vom langfristigen Aufbau und Kontinuität die Rede. Was theoretisch rühmenswert und richtig ist. Aber der SCB lebt immer in der Gegenwart, die Resultate erfordert.
Der SCB ist kein Ausbildungsklub und wird es nie sein. Die schönen Sonntagsreden über Kontinuität und Langfristigkeit bekommen mehr und mehr den Schwefelgeruch der Ausrede. Anfang September 2024 hat der SCB vorzeitig mit Trainer Jussi Tapola bis zum Ende dieser Saison verlängert. Nun müsste eigentlich die Verlängerung erneut ein Thema sein. Sie ist es auch. Und gerade deshalb wird der mühselige Saisonstart (6 Tore in 5 Spielen, 0:4 gegen Ajoie, Rang 10) zum Problem.
Martin Plüss will zur Trainerfrage nichts sagen. Diego Piceci bestätigt immerhin Gespräche und tendiert eher zu Verlängerung und Kontinuität. Unter dem wahren Marc Lüthi wäre Jussi Tapola schon längst nicht mehr im Amt. Der Finne hätte seinen Job nach dem blamablen Scheitern im 7. Viertelfinalspiel gegen Gottéron verloren. Unter dem altersmilden Marc Lüthi kann sich Jussi Tapola auch ein 0:4 gegen Ajoie leisten. Die Trainerfrage ist beim SCB zwar wieder einmal aktuell. Aber nicht mehr entscheidend. Der Trainer ist nicht für die schwindende Leistungskultur verantwortlich.
Einst hatten Trainerwechsel in Bern dank einer hoch entwickelten Leistungskultur fast immer eine belebende Wirkung. Inzwischen wird ein Trainerwechsel kaum mehr eine Wende bringen. Weil der Trainer mehr und mehr zum machtlosen Gärtner der SCB-Wohlfühloase degradiert worden ist. Der Pessimist fragt: Ist das nicht auch das Problem beim HC Lugano?
Das Publikum wird auf Dauer die Ausreden vom langfristigen Aufbau und die Scharade über Kontinuität nicht mehr goutieren. Es gibt ja bei den Ticketpreisen keinen «Aufbau- oder Kontinuitäts-Rabatt». Wer ein Ticket für ein SCB-Spiel kauft, darf erwarten, dass von allen und auf jeder Ebene alles getan wird, um ein Spiel zu gewinnen. Um sportlich erfolgreich zu sein. No excuses, no empty rhetoric.
Eine Aussage von Ramon Untersander in einem Interview mit der dem Klub nahestehenden «Berner Zeitung» während einer früheren Krise hat längst entlarvenden Kultcharakter:
Nein, der SCB muss nicht immer Erster sein. Das ist gar nicht möglich. Aber jeder muss immer alles versuchen, um Erster zu sein. Kritiker sagen zu Recht, das sei nicht mehr so der Fall wie früher. Weil Marc Lüthi nach mehr als 25 Jahren altersmilde geworden ist und inzwischen mehr an einen klugen Vorsteher eines Bundesamtes für Eishockey als an einen unkonventionellen Manager eines erfolgsorientierten Sportunternehmens mahnt.
Und weil er wie keine andere Persönlichkeit seit gut 25 Jahren sein Unternehmen prägt (er ist SCB-Mitbesitzer) und inzwischen so «allmächtig» geworden ist, dass ihm intern alle nach dem Munde reden, unterschätzt er die immense Wirkung, die seine Persönlichkeit, sein Führungsstil mehr denn je auf den SCB haben.
So kommt eines zum anderen: Nur fünf Tore in sechs Spielen, weniger als 85 Prozent Stadionauslastung und ein 0:4 gegen Ajoie.
Der SCB hat nicht ein Trainer-, der SCB hat ein Lüthi-Problem.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
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Spiele
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